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Hier in der Übergangsregion, der sogenannten „Vorhügelzone“, von Rheinebene zum Mittelgebirge, hat es der liebe Gott bei der Gestaltung der Landschaft besonders gut gemeint. Die durch Randschollenverwerfung im Trias (Erdzeitalter, Anm.) auf engstem Raum entstandenen Gesteinsformationen haben unterschiedlichste Böden hervorgebracht. Je nach Weintyp und Weinstil sind dies Böden mit hohem Kalkanteil, Rotschiefer oder Buntsandsteinverwitterung. Dazu kommt die Lee-Wirkung des Pfälzerwaldes, die für das sehr milde (Mikro)-Klima dieser Region mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von Sonnenstunden verantwortlich ist und eine weitere Grundlage für den Anbau von Spitzengewächsen darstellt.
Die beste Weinbergslage nennt sich Leinsweiler Sonnenberg, an dessen Hang der historische Slevogthof thront. Mitten im „Pfälzer Paradies“ lebte hier der deutsche Maler Max Slevogt von 1914 bis zu seinem Tode und hatte einen phänomenalen Blick auf die Rheinebene, um die ihn sicherlich schon damals viele beneideten. Einen besseren Ausblick gewährt eigentlich nur die etwas höher gelegene Burg Neukastell, die im 17. Jahrhundert dem Pfälzischen Erbfolgekrieg zum Opfer fiel und heute ihr efeuberanktes Ruinendasein fristet.
Soviel Vorgeschichte musste diesmal sein, da sich die dortigen historischen, morphologischen und landschaftskulturellen Gegebenheiten bei einer ganzheitlichen Betrachtung des Hotels bzw. Restaurants „Castell“ kaum ausblenden lassen. Das in den 90er Jahren „auf der grünen Wiese“, was hier so viel bedeutet wie „mitten im Weinberg“, erbaute Dreisternehotel trägt die Geschichte sozusagen im Namen. Auf eine - in gastronomischer Hinsicht - recht lange Tradition kann das Betreiberpaar Elke und Gerhard Lauth zurückblicken. Seit nunmehr 22 Jahren führen sie ihre Hotellerie samt Restaurant auf familiäre Weise mit ganz viel Regionalbezug und leidenschaftlichem Einsatz. Küchenmeister Lauth, der sich seit 2009 auch „Maître des Rôtisseurs“ nennen darf, bezieht seine Waren am liebsten direkt vom Erzeuger. Da passt es gut, dass seine Frau Elke aus einer badischen Metzgerfamilie stammt. Im elterlichen Betrieb in Gemmingen (Metzgerei Pfenninger) wird nämlich noch selbst geschlachtet. Und die besten Stücke landen in den Töpfen und Pfannen der Leinsweiler Hotelküche.
Ich muss gestehen, dass ich das „Castell“ kulinarisch eigentlich schon vergessen hatte. Das nostalgische Erscheinungsbild des Anwesens am Ortsrand von Leinsweiler besitzt so viel 90er-Retro-Charme, dass man eine antiquierte Herangehensweise der Küche vermuten könnte. Von außen betrachtet will es dem avancierenden Pfälzer „Weinchic“ der letzten 10 Jahre so gar nicht entsprechen. Da fehlt der unbehandelte Beton, die lichtdurchflutete Glasfront, das rostige Eisenschild oder der blitzblanke Stahlträger. Komponenten moderner Vinotheken-Architektur, wie sie mittlerweile Gang und Gebe sind. Der Romantikerfraktion wird hier kein Fachwerk geboten. Pfälzer Weinseligkeit so ganz ohne Fassdaubenvertäfelung und Sandsteingewölbe. Kann das denn sein?
Stattdessen erwartet einen beim Eintritt in den schlicht, aber wirkungsvoll beleuchteten Gastraum eine angenehme Atmosphäre in gepflegter Umgebung. Ein paar Säulen in der Mitte des geräumigen Speisebereichs wirken raumteilend. Ein mit vielen guten (hochprozentigen) Geistern bestücktes altes Weinfass komplettiert dient als Blickfang. Die Eindeckung der Tische passt zum unprätentiösen Innenleben des Raumes und beschränkt sich auf das Wesentliche, nicht getarnt von allerlei gefälligem Drumherum. Dezente farbliche Akzente setzen die warmen Pastelltöne an Decke und Wänden, die sich jedoch nur schwer gegen die altmodisch wirkenden Sitzmöbel mit unvorteilhaft aussehender Polsterung durchsetzen können.
Unsere Gourmetfraktion, bestehend aus 3 genussfreudigen Pfälzern und einem vinophilen Schwaben, den wir mittlerweile aufgrund seiner langjährigen gastronomischen Sozialisation in der Pfalz als nahezu gleichwertiges Mitglied betrachten, „tagte“ im „Castell“ erst zum zweiten Mal und freute sich umso mehr, als man beim Servicepersonal „alte Bekannte“ aus früheren Zeiten antraf. Ein Tisch für 4 Personen war reserviert, wäre aber an diesem Donnerstagabend nicht nötig gewesen, da wir nahezu die einzigen Gäste waren. Dementsprechend umsichtig und zuvorkommend bedienten uns die beiden Damen vom Service. Besonders das jüngere „Fräulein“ gab sich allergrößte Mühe mit uns. Sie erklärte fachkundig die Speisen und beriet uns freundlich bei deren Auswahl.
Einer der Kollegen entschied sich für das fünfgängige Gourmetmenü (54 Euro), bestehend aus gebratenem Scampi und Jakosmuschel auf Nudeln, einem Blattspinatschaumsüppchen mit Kalbscarpaccio-Inlay, einem erfrischenden Mai-Tai-Sorbet als Zwischengang, rosa gebratenen Scheiben vom Rinderrücken mit Sauce Béarnaise, Marktgemüse und Kronprinzkartoffeln sowie einem mit Blutorangenkompott gefüllten Crêpes mit Tonkabohnenparfait. Er war von jedem der 5 Gänge begeistert, wobei die Suppe für ihn das geschmackliche Highlight ausmachte. Auch ich war nahe dran mir das Scampischaumsüppchen mit gebratener Jakobsmuschel für stolze 8 Euro vorweg zu bestellen, wählte dann aber den Feldsalat mit Speck, Ei, Croutons und gerösteten Kürbiskernen. Für 8 Euro war diese sehr schmackhafte Vorspeise preislich nicht gerade schüchtern kalkuliert, bedenkt man die dafür verwendeten, recht einfachen Zutaten. Davor bekamen wir als Amuse eine kleinen Teller sauer angemachten Blutwurst-Schwartenmagen-Salat mit einem Kleks Senf. So einfach und doch so lecker!
Ein anderer Kollege bestellte mit mir zusammen das ebenfalls mit Sauce Béarnaise servierte Chateaubriand, das ab 2 Personen geordert werden kann. Es kam mit buntem Gemüse und sagenhaft leckeren Kartoffelplätzchen in zwei Etappen (Hauptgang inkl. Nachservice) an den Tisch. Auch hier streift man mit 32 Euro pro Person die obere Preisgrenze. Man fragt sich zwangsläufig, ob dieser recht hohe Preis wohl der Tatsache, dass es sich hier um badisches Bio-Rind aus eigener Schlachtung handelte, geschuldet sei. Die dunkle Jus hatte geschmackliche Tiefe. Zusammen mit der frisch aufgeschlagenen Sauce Béarnaise hatte entstand auf meinem Teller eine aromatische Komposition, die an die Küche allerbester Mütter und Großmütter erinnerte. Das Gemüse hatte genau den richtigen „Gargrad“ intus und schmeckte frisch und lebendig. Das aus der Mitte des Rinderfilets entnommene Chateaubriand hätte für meinen Geschmack einen Tick mehr „rosa“ sein dürfen. Da würde ich das nächste Mal die „Medium-Rare-Version“ vorziehen. Aber die Fleischqualität war wirklich beachtlich.
Als saisonale Ergänzung beinhaltet die Speisekarte eine Reihe winterlicher Genüsse, wie beispielsweise ein 3-Gang-Menü (Jakobsmuschel/Scampi – Hirschkalbmedaillon – Topfenknödel für 32 Euro) oder diverse Wildspezialitäten. Ein Kollege, dessen vegetarische Gesinnung uns auch in der Vergangenheit nicht immer ganz sattelfest erschien, erlaubte sich einen kleinen „Ausreißer“ und bestellte den am Stück gebratenen Rehrücken mit Rotwein-Preiselbeerbirne, Kräutersaitlingen und Apfelrotkraut (28,50 Euro). Perfekt medium gebraten und mit einer dunklen Sauce, deren dezente Süße hervorragend zum Wildfleisch passte, schöpfte unser „Vegetarier“ an diesem Abend kulinarisch aus dem Vollen. Um die aus seiner Sicht recht ungewöhnliche Mahlzeit besser zu verdauen, orderte er aus der regional geprägten Weinkarte eine Flasche Pinot Noir vom benachbarten VDP-Winzer Siegrist. Ein Wein, der im Kastanienholzfass gereift und als „Castell-Exclusivabfüllung“ für faire 20 Euro zu haben war. Meine Rotweincuvée hieß „Madeleine“ (das Viertel für 5,30 Euro), kam vom gleichen Weingut und passte sehr gut zum Chateaubriand.
Zum Abschluss gönnten sich die Kollegen noch etwas Süßes von der Dessertkarte. Da ging einmal das Mousse von der Valrhona-Schokolade mit Tonkabohnenparfait (8 Euro) sowie das klassische Eis-Trio (5 Euro), das selbstredend aus drei Kugeln bestand. Die Crêpes vom Menü wurden natürlich zeitgleich serviert.
Pro Person kostete dieser Abend zwischen 50 und 60 Euro, was einem gehobenen Preisniveau entspricht. Wir wurden wirklich erstklassig bedient. Die Atmosphäre war absolut entspannt und lud förmlich zum Genießen ein. Sehr positiv fielen uns die Sauberkeit der Toiletten und die makellose Eindeckung des Gastraumes auf. Das Preis-Leistungs-Verhältnis könnte dagegen noch überzeugender gestaltet sein, ist aber wohl auch der hohen Qualität der verwendeten (Regional)-Produkte geschuldet. Wer Gutes will, zahlt aber gerne ein paar Euro mehr. In diesem Sinne war es ein gelungener Abend in einem Pfälzer Traditionshaus, dessen etwas anachronistisch anmutende Einrichtung für das Auge des „modernen Pfalz-Essers“ eher ungewöhnlich erscheint.